Von Nonnen und Möpsen

Berlin, 2. Mai 2024

Lieber Ilja

Während Sie sich mit den Glasbläsern in Murano vergnügen, sind wir unserem preußischen Exil treu geblieben und flanieren jeden Tag durch die Stadt. Heute Arkonaplatz und Zionskirche. Ihr Patenkind hat es hier schon wieder getan, es stand freudig mit dem Schwanz wedelnd vor dem Gekreuzigten!

Es ist immer die gleiche Prozedur, wenn nicht gar Prozession: Freudig läuft Rosalie den Mittelgang nach vorne, dann begrüßt Sie den Heiland, legt sich auf die Stufen des Altars und genießt die stille Atmosphäre der Kirche. Ein Bild wie gemalt. Ganz unpassend in der Nüchternheit des evangelischen Gotteshauses. Ich weiß, lieber Ilja, Sie fühlen sich vom Evangelischen angezogen. Ich persönlich bevorzuge jedoch die katholische Kirche. Das Evangelische ist mir zu nüchtern. Guido Lang, der seit vielen Jahren meine Texte lektoriert, sagte erst kürzlich: „Viele Menschen gehen in die evangelische Kirche, so, wie sie in die Sparkasse gehen. Sie sitzen in grauen Anzügen auf harten Bänken mit ernsten Mienen und harren darauf, nach dieser Pflicht wieder ihrem eigentlichen Geschäft nachkommen zu können. Sie verstehen nichts vom Wunder der Vergebung Gottes und die peinlich-pädagogische Predigt, die sie an Ihre Verantwortung in der Gemeinschaft erinnern soll, verschallt. Nein, so ein nüchternes Trauerspiel ist geradezu atheistisch. Wer ein wenig Gefühl für das hat, was man Glauben nennt, in dem stirbt etwas, wenn er solch einer Predigt beiwohnt. Da wird Jesus jedes Mal auf´s neue gekreuzigt. Und stirbt vor Scham über seine Pastoren. Hat er nicht schon genug gelitten, muss er jetzt auch noch die Margot Käßmanns dieser Welt ertragen?“

Ich stimme ihm zu. Die evangelischen Pastoren sind die Buchhalter Gottes. Und gehen Sie mal in eine Filiale der Sparkasse, da werden Sie die Ahnung eines höheren Wesens viel schneller und effektiver erfahren. Ein bisschen Anstehen am Schalter, ein Gespräch über die Optionen. Wenn Sie nach dem Filialleiter fragen, wird ein ordentlich gekleideter Herr mit kariertem Pullunder aus einer Nebentür treten und Ihnen freundlich die Hand entgegenstrecken: „Ich bin Gott, was kann ich für Sie tun? Sie sind Kunde bei uns?“ Beim Verlassen des Hauses haben Sie dann das gute Gefühl, in der Zukunft versorgt zu sein.

Wobei ich zugeben muss, dass ich auch mal ein heiteres Erlebnis in einer evangelischen Kirche hatte. Vor zwei Jahren verirrte ich mich mit Rosalie zu einem Gottesdienst in die Zionskirche. Es war Sommer und sehr heiß. Einer dieser Sommer, der einen Vorgeschmack auf das Krematorium bietet. Rosalie hopste in die kühle Zionskirche, um sich abzukühlen und die Predigt des Pfarrers humoristisch aufzuwerten. Der Pfarrer erzählte etwas über den alten Schreibtischtäter Luther, unterbrach sich und fragte über die Köpfe seiner Gemeinde hinweg: „Können mich alle verstehen, auch der Mops da hinten?“ Zwischen theologischer Belehrung und pädagogischer Ermahnung gab es dann einen Lacher. Der Mops hatte gesiegt!

Ich sollte ein Brevier verfassen für gutes Benehmen, mit dem Titel: „Ein Mops kam in die Kirche – schwanzwedelnd vor dem Gekreuzigten“, denn Rosalie hat sich bereits in vielen Kirchen Berlins gut benommen, sogar in einem Kloster.

Erinnern Sie sich an das Sankt-Josef-Heim in der Pappelallee? Es gehörte dem Caritasverband. Im Garten dieser kirchlichen Pflegeeinrichtung ist ein kleines Karmeliter Kloster. Hier leben die Karmelitinnen, eine katholische Ordensgemeinschaft, in Einsamkeit, Schweigen und Abgeschiedenheit. Zudem ist dort Abtötung der Sinnesfreuden die Bedingung für das stille private Gebet, um die Vereinigung mit Gott zu erreichen. Karmelitinnen bemühen sich, um den Weg der Demut und Selbstverleugnung durch vollkommenen und freudigen Gehorsam gegenüber ihren Vorgesetzten. In der Pappelallee arbeiteten sie für die Senioren, wenn sie nicht ihren religiösen Verrichtungen nachgingen. Ich besuchte regelmäßig diesen Garten, um mit Rosalie die Insassen des Seniorenheimes zu erfreuen. Hier lernte ich auch einige Nonnen kennen, die in ihrer freien Zeit sogar sprechen dürfen. Einmal fragte ich Schwester Euphrasia, die rüstig mit einem Rollator unterwegs war, warum sie Nonne geworden war und in Demut und Einsamkeit leben wollte. Ihre Antwort verblüffte mich. Sie erzählte, dass sie nach dem Krieg als junge Frau einen Mann hätte heiraten müssen, Kinder bekommen und nur für diesen Mann und eine Familie gearbeitet hätte. Das kam ihr vor wie ein Gefängnis. Dem wollte sie entfliehen. Sie wollte mehr erreichen, das habe sie auch. Sie hat die Welt gesehen, in unterschiedlichen Klöstern gearbeitet und ein Kloster in Afrika mit aufgebaut und geleitet. Das hat vielen Menschen geholfen. Ihre Möglichkeit, als Frau in der Welt zu wirken, wurden erst durch die Zugehörigkeit zum Orden möglich. Die totale Unterwerfung, um Handlungsfreiheit zu gewinnen.

Lieber Ilja, das Vergnügen im Klostergarten währte nicht lange. Im Sommer 2019 war ich zum letzten Mal mit Rosalie dort, bevor wir Hausverbot bekamen, weil die Mutter Oberin die Freude, die unser Besuch den Insassen des Pflegeheims bereitete, für nicht gut befand. Die Alten sollten näher zu Gott und da gibt es eben nichts zu lachen.

Es war der 20. August. Ein blendend schöner Sommertag. Die Obermutter stürmte wieder durchs Unterholz, einen cholerischen Anfall unter der Kutte, zu jeder Zeit bereit, eine Salve abzufeuern. Ich grüßte freundlich mit einem „Grüß Gott, ein wunderbarer Morgen“ und prallte am puterroten Antlitz der Braut Christi ab, die mit gepressten Lippen an uns vorbeimarschierte. Rosalie, mein kleines Mopsmädchen, wedelte sie freundlich mit ihrem kleinen Dutt auf dem barocken Hintern an. Ignorant stampfte sie von dannen, direkt auf die Mülltonnen zu. Möglicherweise hatte sie noch einen Ungläubigen zu entsorgen vor dem Abendgebet. 

Der große böse Pinguin, der auf den Namen Mutter Oberin Claudia hörte, begegnet uns immer wieder im Park des Seniorenheims. Hier bereitete ich regelmäßig mit meiner in Pelz gehüllten kleinen Begleiterin denjenigen tierische Freuden, deren Glanzlichter des Tages sonst nur die geglückte Morgentoilette und der Nachmittagskuchen sind. Reihenweise wurden die Bewohner von freundlichen Pflegern mit ihren Rollstühlen, Gehhilfen und anderen Sicherheitsvorrichtungen in den Garten zum Hundekino gekarrt, um sich daran zu erfreuen, wie ein kleiner Mops durch das Gras tollt und das Rondel umgrunzt, in welchem die wunderbarsten Rosen nur als Untermalung der Szenerie duften. Natürlich saß der „little Ball of love“ – wie ein englischer Tourist Rosalie so treffend beschrieb – immer wieder auf allen Schößen und brummelte Freundliches in die Ohren derer, die Alzheimer hatten. Auch die Pfleger setzten sich gerne dazu und tauschten Menschliches mit uns aus für eine Zigarettenlänge. Über die Tragik ihres Berufsstandes, den Mangel an Zeit und Personal. Frauen mit kräftigen Händen und lauten Stimmen, immer bereit aufzuspringen und die nächste Windel zu wechseln.

Dann, wenn alle gegangen und weggerollt waren, senkte sich Ruhe über den Garten. Die Sonne beschien noch freundlich die oberen Baumwipfel, ab und zu flatterten die Tauben in den Ästen heftig auf im Akt der Begattung, um anschließend friedlich zu gurren. Ab und an schwebte eine späte Nonne durch die Vegetation, immer sehr freundlich und erleuchtet. Welch ein Idyll! Rosalie hielt leidenschaftlich gerne Ausschau nach diesen Pinguinen Gottes. Sie stürzte sich freudig schwanzwedelnd auf jeden, den sie kriegen konnte und fiel regelmäßig unter die Kutte zwischen die Füße, wo sie ihr Unwesen trieb, Purzelbäume schlug und die Standfestigkeit der Schwestern erprobte. Immer auch zu deren Vergnügen. Als es eines Tages sehr heiß war, lief sie in die Kapelle und wedelte den Heiland mit dem Schwanz an, damit er herunter steige von seinem Kreuz und alles Leid abwerfen möge.

Der deutsche Philosoph und Essayist, Odo Marquard, der übrigens evangelische und katholische Theologie studiert hatte, konstatierte einmal, dass der Mops deswegen Mops heißt, weil die Menschen sich ihre Menschlichkeit von ihm mopsen müssten. Ich würde es so formulieren: Was Jesus und den Mops verbindet, lieber Ilja, ist die Menschlichkeit. Was sie trennt, ist das Kreuz.

Ihre Dame mit Mops

P.S.

Im Übrigen ist die Vorliebe des Mopses für Kirchen, Klöster und Nonnen, überhaupt für den Glauben, eine sehr ernste und gewichtige Angelegenheit. Denn der Mops war immer schon ein Freidenker. Als Wappentier des Mopsordens stellt er sich bereits im 18ten Jahrhundert gegen den Papst. Er fühlte sich der Aufklärung verpflichtet. Humor, Standfestigkeit, Treue und Liebe gehören zu seinem Charakter und wurden zum Symbol des Mopsordens. Haben Sie schon vom Mopsorden gehört? Der Mopsorden war ein Geheimbund der Freimaurer, die Papst Clemens XII verboten hatte. Inspiriert von den Freimaurern haben sich bereits 1740 in ganz Europa Mops Logen gegründet. Die Angehörigen der geheimen Logen nannten sich Möpse und jede Loge hatte einen weiblichen und einen männlichen Logenmeister, die sich Großmöpsinnen und Großmöpse nannten und sich halbjährlich in der Logenleitung abwechselten. Lediglich der männliche Großmeister hatte kein weibliches Pendant. Eigentlich eine Elitensache. So war beispielsweise sogar Wilhelmine von Preußen, Schwester Friedrichs des Großen, Großmöpsin. Die Anwärter mussten katholisch sein und das Aufnahmeritual bestehen. Was halten Sie davon, wenn wir den Mopsorden neu gründen? Sie könnten dann Großmops werden! Ist das nicht eine ganz famose Aussicht?

Im Übrigen möchte ich Ihnen eine kleine Kostbarkeit nicht vorenthalten: eine ganz seltene und wertvolle Ikone des Mopsordens.